Wer weiß das schon…

Lange Zeit war es bei MBMA still. Und gerade heute es ist sehr still. „Feine Seele, ach so nackt“ heißt es im Song „Wer weiß das schon“ bei Lindemann.

Ein fiktiver Montag irgendwo in Deutschland. Kliniken beschäftigen auch in den aktuellen Pandemiezeiten externe Mitarbeiter für die verschiedensten Aufgaben, die sie entweder selbst nicht bewältigen können oder aus Gründen der Objektivität an Dritte „auslagern“. Je nach Aufgabengebiet sind das im Dezember 2020 systemrelevante Tätigkeiten, die tatsächlich dazu dienen, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Ein vermeintlicher Vorteil: Ein Schreiben, in dem eine „Systemrelevanz“ (welch ein abartiges Wort) bescheinigt wird und mit dem man sich frei jeglicher Beschränkung bewegen darf. Trotz jeglicher Beschränkungen der Behörden. Der vermeintliche Vorteil, der eigentlich keiner ist, geht mit vielen Nachteilen einher.

Aber stellen wir uns eine Geschichte vor…

An jenem fiktiven Montag arbeiten zwei externe Mitarbeiter in einer Klinik in Deutschland. Zur Mittagszeit ist eine Standard-OP angesetzt, die nicht verschoben werden kann. Die Patientin ist ein Kind, ein Mädchen, die Operation scheinbar ein Klacks. Jeder Arzt aus diesem Fachgebiet sollte und würde diese OP aus dem Effeff beherrschen.

Natürlich ist keine Operation frei von Risiken. Die können während des Eingriffes und auch danach, postoperativ auftreten. Harmlos ist dabei PONV. Frei übersetzt sind das Übelkeit und Erbrechen nach der OP, die sowohl bei einer Regionalanästhesie als auch bei einer Vollnarkose auftreten können. Nichts von alledem… Die beiden externen Mitarbeiter mit unterschiedlichen beobachten den kompletten Ablauf. Vorgespräche, Patientenvorbereitung, Aufklärung, der Umgang mit den Eltern, die Handgriffe der Mitarbeiter. Tausend Sachen, tausend Notizen stehen im Laptop. Der OP-Zeitpunkt rückt näher, das nichtmedizinische Personal steht vor der Schleuse und wartet auf den freien OP, um vom Nachbarraum aus arbeiten zu können. Es ist kalt, die Füße frieren.

Wenig später geht die scheinbare Routine los. Jeder Handgriff sitzt, eine absolute Emphatie, ein selten gesehener liebevoller Umgang beim gesamten OP-Team. Das Mädchen lacht im Vorbereitungsraum, ein Arzt streicht ihr über den Kopf und erklärt, dass ihr nach der OP durchaus schlecht sein könnte, sie lacht: „Das ist doch nicht so schlimm“. Die Einleitung der Narkose problemlos, wenig später wirkt die Vollnarkose. Alle Vitalwerte perfekt. Eine Umlagerung, professionell, eingespielte Abläufe beginnen, die Kontrollmechanismen im Team funktionieren. 20 Minuten später sollten die Augen im Aufwachraum aufgehen, am nächsten Tag sollte das Mädchen schmerzfrei zu Hause bei ihrer Familie sitzen.

Sie wird morgen nicht zu Hause sitzen. Das Herz stand völlig unerwartet und ohne erkennbaren Grund still.

Reanimationsversuche erfolgen… Gefühlte Stunden. Man steht hinter einer Glasscheibe und fängt an zu weinen, will davonlaufen, kann es nicht, versteinert. Die Abläufe im Saal versinken irgendwann in Resignation. Tränen am Tisch, sie zeichnen sich deutlich auf grüner OP-Kleidung ab, jemand sitzt auf dem Fliesenboden, beide Hände vor dem Gesicht.

Scheinbar ein Stillleben, keine Bewegungen, Linien, die einfach nur gerade sind… Ein ein paar Tagen ist Weihnachten. Sie wird keinen Geburtstag mehr feiern, nicht erwachsen werden, keine Familie gründen können, kein Kind bekommen, nie wieder glücklich sein. Sie starb. Einfach so…

Leere.

Wer weiß das schon?
Mein Herz auf und davon
Ich liebe das Leben
Das Leben liebt mich nicht
Es tritt mich mit Füßen
Und schlägt mir ins Gesicht

Agathe

Agathe denkt, atmet, schreibt.