Wer weiß das schon…

Lange Zeit war es bei MBMA still. Und gerade heute es ist sehr still. „Feine Seele, ach so nackt“ heißt es im Song „Wer weiß das schon“ bei Lindemann.

Ein fiktiver Montag irgendwo in Deutschland. Kliniken beschäftigen auch in den aktuellen Pandemiezeiten externe Mitarbeiter für die verschiedensten Aufgaben, die sie entweder selbst nicht bewältigen können oder aus Gründen der Objektivität an Dritte „auslagern“. Je nach Aufgabengebiet sind das im Dezember 2020 systemrelevante Tätigkeiten, die tatsächlich dazu dienen, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Ein vermeintlicher Vorteil: Ein Schreiben, in dem eine „Systemrelevanz“ (welch ein abartiges Wort) bescheinigt wird und mit dem man sich frei jeglicher Beschränkung bewegen darf. Trotz jeglicher Beschränkungen der Behörden. Der vermeintliche Vorteil, der eigentlich keiner ist, geht mit vielen Nachteilen einher.

Aber stellen wir uns eine Geschichte vor…

An jenem fiktiven Montag arbeiten zwei externe Mitarbeiter in einer Klinik in Deutschland. Zur Mittagszeit ist eine Standard-OP angesetzt, die nicht verschoben werden kann. Die Patientin ist ein Kind, ein Mädchen, die Operation scheinbar ein Klacks. Jeder Arzt aus diesem Fachgebiet sollte und würde diese OP aus dem Effeff beherrschen.

Natürlich ist keine Operation frei von Risiken. Die können während des Eingriffes und auch danach, postoperativ auftreten. Harmlos ist dabei PONV. Frei übersetzt sind das Übelkeit und Erbrechen nach der OP, die sowohl bei einer Regionalanästhesie als auch bei einer Vollnarkose auftreten können. Nichts von alledem… Die beiden externen Mitarbeiter mit unterschiedlichen beobachten den kompletten Ablauf. Vorgespräche, Patientenvorbereitung, Aufklärung, der Umgang mit den Eltern, die Handgriffe der Mitarbeiter. Tausend Sachen, tausend Notizen stehen im Laptop. Der OP-Zeitpunkt rückt näher, das nichtmedizinische Personal steht vor der Schleuse und wartet auf den freien OP, um vom Nachbarraum aus arbeiten zu können. Es ist kalt, die Füße frieren.

Wenig später geht die scheinbare Routine los. Jeder Handgriff sitzt, eine absolute Emphatie, ein selten gesehener liebevoller Umgang beim gesamten OP-Team. Das Mädchen lacht im Vorbereitungsraum, ein Arzt streicht ihr über den Kopf und erklärt, dass ihr nach der OP durchaus schlecht sein könnte, sie lacht: „Das ist doch nicht so schlimm“. Die Einleitung der Narkose problemlos, wenig später wirkt die Vollnarkose. Alle Vitalwerte perfekt. Eine Umlagerung, professionell, eingespielte Abläufe beginnen, die Kontrollmechanismen im Team funktionieren. 20 Minuten später sollten die Augen im Aufwachraum aufgehen, am nächsten Tag sollte das Mädchen schmerzfrei zu Hause bei ihrer Familie sitzen.

Sie wird morgen nicht zu Hause sitzen. Das Herz stand völlig unerwartet und ohne erkennbaren Grund still.

Reanimationsversuche erfolgen… Gefühlte Stunden. Man steht hinter einer Glasscheibe und fängt an zu weinen, will davonlaufen, kann es nicht, versteinert. Die Abläufe im Saal versinken irgendwann in Resignation. Tränen am Tisch, sie zeichnen sich deutlich auf grüner OP-Kleidung ab, jemand sitzt auf dem Fliesenboden, beide Hände vor dem Gesicht.

Scheinbar ein Stillleben, keine Bewegungen, Linien, die einfach nur gerade sind… Ein ein paar Tagen ist Weihnachten. Sie wird keinen Geburtstag mehr feiern, nicht erwachsen werden, keine Familie gründen können, kein Kind bekommen, nie wieder glücklich sein. Sie starb. Einfach so…

Leere.

Wer weiß das schon?
Mein Herz auf und davon
Ich liebe das Leben
Das Leben liebt mich nicht
Es tritt mich mit Füßen
Und schlägt mir ins Gesicht

Amazon und die spontanen Preisänderungen

Gehört habe ich ja davon schon oft, aber es noch nie selbst erlebt. Heute Mittag lege ich ich mir ein paar Festplatten, ein NAS und ein paar IP-Kameras samt Heizung in den Warenkorb bei Amazon. NAS und Festplatten waren preislich ok, die Kameras rund 15 Prozent unter marktüblichem Preis und damit das zumindest von mir gefundene günstigste seriöse Angebot.

Am späten Nachmittag dann die Überraschung. Huch, die Heizungen für die Kameras wären auf einmal nicht mehr lieferbar, das NAS ein paar Cent (drauf geschissen) günstiger und siehe da: Die Kameras satte 15 Prozent über Normalpreis. „Es tut uns leid…“ sagt Amazon. Die Festplatten haben mich da schon gar nicht mehr interessiert.

Warenkorb gelöscht und woanders bestellt. Gut gemacht Amazon. Bleibt die Kohle eben beim Händler in der Stadt. 😉

Müsli

Gratulation, Seitenbacher!

Ihr habt es geschafft. Ihr wurde eiskalt von eurem Tröten-Thron, den ihr in meiner Bäh-Ich-will-das-nicht-mehr-hören-Zelle im Hirn habt, verstoßen. Und zwar von wirkaufendeinauto.de. Ehrlich. Die sind optisch und phonetisch noch lästiger als eure unerträgliche Werbung. Wirklich. Absolut widerlich, anstrengend und schmerzhaft. Zumindest für denkende Menschen.

Wenn ich mir allerdings im Bundesanzeiger die Jahresabschlüsse beider Unternehmen anschaue, tippe ich darauf, dass Seitenbacher meinen Thron zeitnah zurückerobern wird… 😉

„Halo for assholes“ oder „Der moderne Heiligenschein“

Die Bundestagswahlen stehen an. Kandidaten, amtierende Politiker, Kasper samt reisewilliger Claqueure Anhängsel sind auf Wahlkampftour in der Republik. Und tatsächlich, vereinzelt versammelt sich Klatschvieh und jubelt den künftigen und derzeitigen Lenkern zu.

Wenn man vor Jahren noch dachte, Wahlprogramme oder verkündigte politische Ziele können nicht inhaltsloser sein, wird man in diesem Jahr eines Besseren belehrt. Nichts. Gar nichts. Es wird durch regierende Parteien nicht mal versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben, indem man Fehler in der politischen Arbeit der letzten Jahr zugibt oder gar Besserung gelobt. Kackfrech aussitzen ist die Devise.

Andere Parteien geben offenbar bereits vor der Wahl auf. Zum Beispiel bei der FDP. Slogans wie „Schaffe, schaffe, Datenhighway baue“, „Es heißt Fahrzeug nicht Stehzeug“ oder „Straßen sanieren. Damit neue Unternehmen den Weg ins Land finden.“ fordern einen Facepalm heraus. Sorry, FDP, so habt ihr vermutlich bereits im Vorfeld verkackt – das sind nicht mal drei Prozent!

Wieder andere Parteien können immerhin das Wort „Polemik“ ziemlich variantenreich schreiben und vor allem auf bunten Bildern darstellen, auch wenn sie offenbar aktuell mit Immunitätsproblemen der Führer Führung kämpfen und in der Summe nicht nur im Wahlkampf alt aussehen. Schlimm, dass vorhersehbar ist, dass die Damen und Herren mit teils mangelhafter Bildung und zweifelhaften Zielen (so es nicht nur Polemik ist) vermutlich sicher in den Bundestag einziehen werden. Und regieren wollen. Wollen.

Die Arbeiterpartei hingegen verspricht zum x-ten Mal, sich um die Belange des kleinen Mannes zu kümmern. Stimmt, groß ist der Herr Kandidat ja wirklich nicht. In jeder Hinsicht. Aber wie man abkassiert, hat er in den letzten Jahren manifest bewiesen. Die Altersarmut abzuschaffen muss er sich nicht auf die Fahnen schreiben, das ist ja bereits erledigt. Zumindest bei ihm selbst. Schon lange.

Über die amtierende Kanzlerin müssen wir nicht reden. Sie wabert im Dunst des Vergangenen, umgeben von Mautlügnern und anderen Jüngern, die bei einem Teil des Stimmviehs Volkes in letzter Zeit mehr als verkackt haben. Legendär und durchaus mit Volksfestcharakter waren die unter anderem die Auftritte des Bundesjustizministers in Zwickau.

Auch legendär, aber ganz still, leise, ohne Konsequenzen und vor allem medienfern im hintersten ruhigen Kämmerlein könnte die Aufarbeitung des diesjährigen G20-Gipfels in Hamburg erfolgen, bei dem zu viele Polizisten einfach mal verheizt wurden und testweise die Anarchie ans Ruder gelassen wurde.

Gewöhnt euch an solche Bilder. Oder wählt.

Zwischen Pest und Cholera.

Quo vadis, Deutschland.

Ihr Linksfahrerschreihälse der Welt…

Linksfahrer auf Autobahnen

Ihr, die auf dreispurigen Autobahnen am Sonntag mit einer komplett leeren rechten Spur und vereinzelt dahindösenden Rentnern auf der Mittelspur auf kilometerlangen Strecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf der linken Spur mit 140 km/h dahinrast und euch nach einem Überholvorgang nicht einordnet, weil am Horizont ja der nächste 100km/h-Mittelspurrentner zu sehen ist und ihr zu blöde seid, auf einer Strecke von einem Kilometer den Blinker zu finden und zu betätigen und dann lieber andere Autofahrer hinter euch sammelt:

Schafft euch Rückspiegel an und nutzt diese. Zum Beispiel beim Wechsel der Fahrspur. Immer. Vor dem Blinken.

Fahrt rechts, sofern voraus ein paar hundert Meter nichts zu sehen ist. Auch immer. Ganz rechts geht auch. Auch, wenn alle vier Kilometer ein Lkw da rumlungert.

Beim Überholen muss man schneller sein, als der/die/das, was man überholen möchte. Wirklich!

Ja, ich möchte gern 130 km/h fahren, wenn 120 km/h erlaubt sind und nicht Deinen häßlichen Kofferraum samt leerer rechter Spur daneben sehen, Du Möchtegern-Verkehrserzieher.

Regt euch nicht über Gaffer auf, wenn ihr selbst gafft und bei Unfällen auf der freien Gegenspur (natürlich links, ist ja dichter dran) von irgendwas deutlich über hundert auf 60 km/h runterbremst, um sehen zu können, was passiert ist.

Nein, wir bremsen nicht, wenn irgendwer oder irgendwas auf die Autobahn auffahren möchte. Und nein, wir wechseln auch deswegen nicht auf die linke Spur!

Keine gute Idee ist es, einen Kilometer vor dem Objekt, was man überholen möchte, auszuscheren.

Im Stau: Und nö, wenn von hinten Blaulicht kommt fahrt ihr bitte nicht in die Rettungsgasse, nur um im Rückspiegel zu sehen, ob wirklich Blaulicht kommt!

Und: Auch, wenn manch blöder Blick beim Überholen schon viel über den Lenkenden aussagt, ist die Autobahn kein privater Therapieraum.

PS: Aus aktuellem Anlass, weil sich im blauem unsozialen Netzwerk so viele über rasende Rechtsüberholer aufregen: Wer rechts überholt wird, hat offenbar was falsch gemacht. Nämlich die rechte Fahrbahn, die der „Raser“ offenbar  zum Überholen nutzen konnte, vorher nicht dazu genutzt, sich wieder einzuordnen.

PPS: Rücksicht geht nicht nur im Spiegel!

Leben ist, von der Gegenwart überholt zu werden

Sommer Hitze

Früher, als man in den Ferien noch zu den Großeltern aufs Land fuhr, war alles anders. Sechs Wochen am Stück absolutes Kuhdorf und es war schön. Kein Whatsapp, kein Facebook, ja nicht mal Internet. Ein Telefon gab es. Beim örtlichen Bullen (aka Abschnittsbevollmächtigter) oder in einer Telefonzelle auf dem Dorfplatz. Die Post hatte auch eins, aber die hatte nur an zwei Tagen in der Woche ein paar Stunden geöffnet.

Fragt mich, was man den ganzen Tag gemacht hat – ich weiß es nicht. Was hängen blieb, sind einige Dinge. Der Geruch von Sonne, alten Teerdächern von Schuppen, Stroh in den Scheunen, Wiesen, auf denen Kühe malmend herumstehen und ab und zu mal mit dem Ohr zucken, wenn sich eine Scheißhausfliege auf demselben niederließ. Traktoren, die polternd mit leeren Anhängern durchs Dorf rasten und eine damals fantastisch riechende Abgasfahne hinter sich herzogen.

Mittags gab es trotz der Hitze meist deftiges Essen, Schnitzel, Rouladen, man hatte Hunger, stopfte sich voll. Danach döste man überfressen unterm Apfelbaum, in der Hollywoodschaukel oder auf einer Wiese am Waldrand. Die Oma in Kittelschürze, der zufriedene Blick auf leere Teller. Zum Sommer gehörte damals Kaltschale. Mit Sago. Froschaugen. Die gab es dann meist Nachmittags. Und die wiederum erinnert mich an Enten. Am späten Nachmittag, wenn die Sonne nicht mehr so extrem brannte, schnappten wir uns die Fahrräder, Eimer und Kescher und fischten Entengrütze auf dem Dorfteich, die wir dann den kommenden Weihnachtsbraten in den Teich auf dem Hof kippten. Das Geräusch, wenn ein Rudel Entenschnäbel die Wasserlinsen klarmachten, vergisst man auch nicht.

Regen? Ich kann mich an Sommergewitter erinnern, die ein-, zweimal pro Jahr niedergingen und für uns Kinder einen Weltuntergang bedeuteten. Wir haben die meist vom Dachboden aus beobachtet und bei jedem Blitz die Zeit gezählt, bis es donnerte. Ab und zu hat so ein Gewitter mal einen Baum erlegt, den wir dann am nächsten Tag suchten…

Und heute sitzt Du im Auto, erkältest Dich mit eingeschalteter Klimaanlage, sitzt mit dem Handy in der Hand im Schatten, schwitzt vor Dich hin und checkst, wie die Temperaturen die nächsten Tage werden.

Immerhin ohne aufgeschlagene Knie oder Ellenbogen wie früher.

Leben ist, von der Gegenwart überholt zu werden.

Und das ist ok, solange man sich Erinnerungen bewahrt.

20 Minuten Irrenhaus

Supermarkt

Neulich bei Albrechts Feinkost in einer süddeutschen Großstadt. Die Hitze flimmert am frühen Abend. Frau Sowieso und ich betraten die heilige Halle des von der Mittelschicht verpönten Discounters. Uns egal, wir gucken gern mal, welche Exemplare „Mitmensch“ sonst so hier rumlungern. Und auch heute sollten wir nicht enttäuscht werden.

Nachdem ich in Eingangsnähe anrempelnderweise fast von einer Meute Gebetswütiger lautstark (LAUTSTARK!) überrannt wurde, die mit Laken im Ku-Klux-Klan-Style (Kopf war frei, naja vom Bart mal abgesehen) den Delikatessenhandel stürmten, brauchte ich erstmal ein paar Meter, um mich zu sortieren. Meine Toleranzgrenze wurde das erste mal angekratzt.

Am Süssigkeitenregal hatte ich mich wieder einbekommen.

Und erspähte prompt einen Sonderposten an pinken Einkaufskörbchen, schnappte mir eins, hängte es über den Unterarm (ohne Körbchen keine Competition!) und rief nach Frau Sowieso. Noch bevor diese überhaupt reagieren konnte, lärmte eine Mitarbeiterin, die zehn Meter weiter Regale packte: „Steht ihnen ausgesprochen gut!“. Ich fühlte mich gedisst. Ehrlich. Meine Antwort war nicht jugendfrei, erfreute aber die Komplimentgeberin sichtlich.

Bockig trollte ich mich in Richtung Frau Sowieso, der just in dem Moment nur ein paar Meter weiter an einer Regalecke ein kleiner, alter Mann (bestimmt Mitte 70) mit einem viel zu großen Fahrradhelm direkt vor das Dekolleté sprang. Beide blieben stehen. Gucken sich erschrocken an. Knapp dreißig Zentimeter Abstand. High Noon… Rumpelstilzchen starrte kurz auf den ungewohnten Anblick in Augenhöhe und machte allen Ernstes einen Schritt nach vorn, sprich drängelte Frau Sowieso weg.

Agathe: „Sie haben doch eigentlich das Alter, in dem man wissen sollte, dass man Damen den Vortritt lässt und sie nicht wegdrängelt, Sie unhöflicher Kerl!“

Rumpelstilzchen: „Ei, schappdea deegggeen drrrööööbb…“

Gott, ein einheimischer Schachtscheisser – nur schnell weg!

Agathe: „Ich habe kein Wort verstanden. Schönen Abend noch!“

Die Verkäuferin, die mich eben noch ob meiner Taschenoptik anlog, ging im Stechschritt lachend in Richtung Kasse.

An den Fleischtruhen hatte ich mich wieder einbekommen.

Ich überlegte, welcher Käse wohl am besten meinen Magen nach einem halben Kilo Fleisch schließen würde und Frau Sowieso strolchte um die Kühltruhen herum, als diese von zwei durchaus versifften männlichen Exemplaren angesprochen wurde, die ihr wedelnd eine Stumpfhosenpackung vor die Nase hielten:

Siffi 1: „Entschuldigen Sie mal, passt die hier bei 60 Kilo?“

Frau Sowieso: (mustert Siffi 1 von oben bis unten) „Könnte knapp werden.“

Siffi 1 und 2: (irritiert, offener Mund)

Ich nähere mich gelangweilt samt Einkaufswagen der Szene.

Frau Sowieso: (deutet auf mich) „Fragen Sie mal besser Agathe, die hilft Ihnen bestimmt weiter!“

Siffi 1 und 2: (noch mehr irrtiert, Mund immer noch offen)

Ich erspähe auf der Packung die Größenangabe 46/48.

Agathe: „Sehen wir so aus, als ob wir hier arbeiten? Wenn ja, würden wir einen Einkaufswagen durch die Gänge schieben? Aber wenn ihr die Dame beleidigen wollt, passt die Größe. Für euch selbst wird es eher knapp.“

Bloß weg hier. Zielstrebig die Kasse ansteuern, wo grinsend die Verkäufern wartet. Als wir zahlen, legen die Siffis dann drei Strumpfhosen in 46/48 auf das Band. Dreckige Fingernägel, aufgekratzte Pickel. Kopfkino. Bäh.

Meine Toleranzgrenze ist irgendwo ganz weit weg…

Vita Cola PUR – mit Schwächen überzeugen

Vita Cola PUR

Anlassprolog in Kurzfassung: Es trug sich zu, dass Frau Sowieso Besuch empfing. Im Laufe des Abends wurden schöngeistige Mischgetränke konsumiert, die koffeinhaltige Limonaden als Füllstoff nutzen. Hier wurde fleissig Coca Cola eingeschenkt. Aus nicht näher erwähnenswerten Anlässen kam das Gespräch auf einen Cola-Oldie aus der ehemaligen DDR. Vita Cola. In meiner üblich charmanten Art sinnierte ich über dieses abwaschwasserähnliche Erfrischungsgetränk, das irgendwie gar nicht mehr so schmeckt wie früher. Sondern noch schlimmer als früher. Nach Spülmittel mit Zitronengeschmack. Zitronengeschmackaroma. Und Koffein. Und Wasser. Sprich: Ich trank die gemeine Vita Cola vor Jahren und sie fiel bei mir in Ungnade. Schublade „ungeniessbar“ und gut. Dies gefiel offenbar dem Besuch der Frau Sowieso überhaupt nicht, die irgendwie den ganzen Abend auf dem Vita-Roß ritt. Da ich weiterhin behauptete, dass jenes Roß eben doch schon seit Ewigkeiten tot ist, ergab es durchaus interessante Duelle. 😉

Historischer Prolog (auch in Kurzfassung): Im Jahr 1958 in einer chemischen Fabrik der ehemals sowjetische besetzten Zone DDR erfunden um der bösen Coca Cola des damaligen Klassenfeindes Paroli bieten zu können. Die Landesbrauerei Leipzig (später VEB Sachsenbräu) seinerzeit ein Warenzeichen beim Amt für Erfindungs- und Patentwesen angemeldet. Zwei Jahre später produzierten bereits über einhundert Betriebe Vita Cola. 1994 übernahm die Thüringer Waldquell Mineralbrunnen GmbH die Marke. Brau & Brunnen verkaufte 2005 an Hassia (Hessen). 2007 kam die Sorte „Vita Cola Schwarz“ auf den Markt, die vier Jahre später PUR wurde, auch wenn sie weiterhin schwarz blieb.

Um es kurz zu machen: So muss Cola schmecken. Vita Cola Pur schmeckt. Und zwar gut. Der Preis pro Liter liegt unter der Konkurrenz aus dem Amiland, wir haben um die 70 Cent pro Liter bezahlt. Albern finde ich den Slogan „mit purem Cola-Kick“. Die Flasche tritt mangels Beinen nicht um sich und der Inhalt schon mal gar nicht. Die Doppelung von „pur“ bleibt auch unkommentiert. Der technogewollte Hintergrund des Etiketts (ich habe Gölfe gesehen, die hatten Fußmatten in so einer keimigen Optik) ist eher eine visuelle Grausamkeit. Die sich im Übrigen leider durch die gesamte Produktpalette zieht. Und das wäre noch etwas, was durchaus tolerierbar wäre. Ist halt Geschmackssache.

Überholt dagegen: Mit Ostalgie werben (online zum Beispiel hier, Bilder 4, 5, 6, 7) ist schön und gut, aber absolut überflüssig – um nicht zu sagen kontraproduktiv – ist eine Händlersuche West. Gibt man hier zum Beispiel 18439 (steht für Stralsund, Osten) ein kommt statt „Gratulation, das Zeug steht in jedem Supermarkt in Deiner Umgebung!“ allen Ernstes der nächste Vita-Cola-Händler in der Region Wolfsburg-Hannover.  Fail. 😉

Dazu kommt, dass die Zielgruppe, die noch auf dümmliches Ost-West-Gequatsche anspringt, mittlerweile auch doll jenseits der 40 ist. Diese Gruppe wiederum wird auf der eigentlichen Vita-Cola-Homepage gar nicht angesprochen. Hier dominiert künstlich gewollte Happiness der Generation „mir doch egal, Hauptsache ich hab Netz und Akku für Facebook und Whatsapp“. Slogans wie „Kein Rhytmus im Blut ist kein Grund, nicht zu tanzen. Seid tatendurstig!“ kombiniert mit Gesichtern vom Typ „später-Teenager-knapp-am-Hipster-Style-vorbei“ passen jetzt nicht wirklich zur Händlersuche West. Echt nicht.

Klasse finde ich den Bereich „Social #VITACOLA“, wo ausgewählte Instagram-Posts gezeigt werden. Schlimm dagegen: Der Instagramm-Channel vita_cola hat 757 Abonnenten. Auf Facebook wartet Vita-Cola mit immerhin über 72.000 Abonennten auf. Und ja, da habe ich ihn dann endlich gefunden, den Hipster-Post. Am 1. Mai ein durchaus netter Spruch („VITA mal ein langes Wochenende“) und dann sind sie da, die Vollbärte, die noch nie eine Axt in der Hand hatten und die „Ich-bin-zu-allen-gerecht-habe-zu-allem-eine-Meinung-und-die-ist-immer-richtig“-Damen um die 20. Die wiederum sind vermutlich mit der zuvor erwähnten Ostalgie-Schiene überfordert, wissen oft gar nicht, dass es überhaupt mal eine innerdeutsche Grenze gab.

Differenz erkannt?

Denkt mal drüber nach, euren Fokus von einem Extrem („Ost Ost Ost“ – seid ihr gar nicht, sondern Hessen 😉 ) und dem anderen Extrem, der heranwachsenden Generation „Party“ auf die vielleicht echte Zielgruppe „Menschen mit Geschmack“ zu schwenken. Aber Altersheimbilder sind nicht so cool, gelle? 😉

Damit könnten wir auch zum Epilog übergehen: Der anfangs erwähnte Besuch der Frau Sowieso hat es geschafft, dass Vita Cola Pur einen Stammplatz im Getränkelager unseres Haushalts bekommen hat. Das hättet ihr mit Facebook und Insta bei mir nicht geschafft. Ehrlich nicht! 😉

Und wenn ihr jetzt noch diese räudigen Kunststoff-Mehrweg-Flaschen durch irgend ein anderes Behältnis ersetzen könnt, bei dem man ausschließen kann, dass irgendein Hipster das Ding verkehrtherum im Sand oder in irgendwelchen Körperöffnungen stecken hatte, dann probiere ich auch mal die anderen Produkte. Versprochen! 😉