Notaufnahme, Samstagabend, 19 Uhr. „Ich habe Schmerzen in der Schulter, gestürzt…“ Zettel ausfüllen, warten, warten.
Eine halbe Stunde später schnarrt die Stimme von Schwester Rabiata ins Wartezimmer: „Herr Disaster, einmal bitte zum Röntgen.“ Gesagt, getan. Samt Begleitung einmal quer durch das Krankenhaus geschlurft. Die Röntgenschwester ließ uns nur ein paar Minuten warten. Das Ausziehen des T-Shirts entpuppte sich als mittlere bis schwere Katastrophe.
„Soll ich ihnen helfen?“ – „Nö, geht schon.“ Man ist ja Mann. Auf den kalten Tisch legen und Erleichterung. Die Kälte tut der Schulter richtig gut. „Soooo, einmal den Arm hoch“ – „HÖ? Geht nicht! Mach ich nicht! Kommt gar nicht in Frage!“ – „Klar, muss, stellnsesichmanichsoan!“. Minuten später, nach unzähligen Flüchen und einem hämischen Grinsen der Schwester, die in ihrer Samstagsabendbereitschaft bestimmt lieber vorm Fernseher gesessen hätte kam das erlösende „So, fertsch, anziehen, den Rest bespricht der Doc mit ihnen!“ Das T-Shirt anziehen war noch interessanter als selbiges abzulegen. Ich verzog keine Miene und erfand innerlich zig neue Schimpfwörter.
Zurück in die Notfallabmulanz. Ich stellte mich wieder auf lustige Wartezeiten ein und versuchte mich durch das Beobachten der drei anderen Anwesenden abzulenken. Das brachte nichts, die gehörten alle zusammen und ausser, dass abwechselnd jemand der dreien mit teilnahmslos-leidvoller Mine vor die Tür zum Rauchen schlurfte, passierte nicht allzuviel.
Nach nur zehn Minuten erbarmte sich der Doc, mich der Langeweile des Wartezimmers zu entziehen. „Guten Tag, ich bin Herr Samstagabenddoc, was hammse denn veranstaltet?“ – „Sturz, rechte Schulter… stammel stammel“. – „Ausziehen!“ – war ja sowas von klar. Innerlich erneute zig Flüche, nach zwei Minuten obenrum nackig. Tasten hier, Arm hochheben da, langziehen da, drücken hier… Ich fange an zu meckern. Es folgt das erste Statement: „Also… Es ist alles frei beweglich, da is nüscht gebrochen. Allerdings ist auf dem Röntgenbild irgendetwas zu sehen, was da nicht hingehört. Wir machen mal noch eins und zwar in einer anderen Position. Den Weg kennen se ja…“ Ich rolle mit den Augen, der Doc grinst. T-Shirt anziehen, tausend Flüche…
Raus in den Wartebereich, Begleitung eingesammelt, zum Röntgen. Dort wartete die Schwester schon grinsend, war offenbar von der Notaufnahme schon vorgewarnt: „Langsam werden sie lästig…“ – „Ich weiß, bin ich immer“ – „Sie können sich ja schonmal ausziehen…“ Sprachs, und verschwand in einem Nebenraum um mit einem Buch, das die Stärke zweiter Aktenordner hatte, wieder um die Ecke zu biegen. Ich quälte mich mit dem Shirt und sie fing an zu blättern. Irgendwann war ich fertig, die Schwester allerdings noch nicht. Ich rutschte von der Pritsche und schlurfte zu ihr rüber und zu schauen, was an dem Buch so interessant ist. Das erste, was ich sah, war eine Abbildung, bei der die zu röntgende Schulter abgebildet war. Nicht so schlimm. Schlimm war, dass an der Schulter ein Arm hing, der über dem Kopf mit der Hand im Nacken halt fand.
Panik. „No way, ich bekomme den Oberarm nicht mal vom Oberkörper weg“ – „Aber der Doc möchte diese Technik, damit er was erkennen kann“ – „Also haben Sie beim ersten Mal scheisse geröngt!“ Lachen. Eine viertel Stunde später. Der Arm war nicht nur oben sondern war im Liegen und im Stehen mehrfach oben. Tränen in den Augen, unkontrolliertes Zittern. Schwere Mitleidsanflüge bei der Schwester, die eine durchaus erwähnenswerte Sensibilität entwickelte. Sie durfte mich zur Belohnung anziehen. Ich hätte es nicht mehr hinbekommen. Der Schmerz in der Schulter war da. Sowasvon war er da. Höllisch.
Disaster: „Ich hoffe, diemal haben Sie nicht wie beim ersten mal gepfuscht, das war eben weder schön noch nett“ – „Ich habe nicht behauptet, dass es nett oder schön wird“ und lacht mich an. „Sollten wir uns heute abend noch mal treffen, erwarte ich eine Flasche Rotwein und ausserdem können wir uns dann gleich bei Facebook befreunden…“. Noch mehr Lachen: „Warum nicht, kling gut…“. Ich schlurfe zurück in die Notaufnahme.
Dort wartet grinsend der Doc…