[Was vorher geschah: Teil I, Teil II]
Doc: „…das ging ja fix. Die gute Nachricht: Wir haben einen Befund. Die schlechte Nachricht: Der ist nicht schön. Kommense ma mit, ich zeigs ihnen am besten am PC“.
Wir zwängen uns in der Notaufnahme in einen Raum, der fünfzig Zentimeter breit und knapp einen Meter tief ist.
Doc: „Schauen Sie mal, das ist ihr Schulterblatt, und das ist ein schicker Bruch. Wie aus dem Lehrbuch…“
Er schiebt mich aus dem Miniraum nach nebenan in den Schockraum.
Disaster: „Ähm, ja und jetzt?“
Doc: „Sie können sich die Schulter so überhaupt nicht brechen. ich bin jetzt über zwanzig Jahre hier und habe zwei ähnliche Brüche gesehen. Damit hätten Sie mit 150 mit einem Motorrad irgendwo gegen fahren müssen. Dann wären aber noch tausend andere Knochen kaputt. Ich rufe jetzt den Orthopädie-Oberarzt an, der wird sich freuen, sie heute an seinem freien Samstagabend noch operieren zu dürfen…“
Herr Samstagabenddoc greift sich das Telefon und verlässt den Raum, Schwester Rabiata drückt mir einen Stapel Papier in die Hand, holt ein Krankenhaushemdchen aus dem Schrank und schmeisst das auf ein Bett im Raum. Öffnet Schränke, sammelt Flexülen und sonste Folterwerkzeuge in einer Nierenschale und stellt die ebenfalls aufs Bett. „Sie solln das ma lesen und unterschreiben!“ – „Ich unterschreib hier nüscht, bevor der Doc mir nicht erzählt, was Phase ist“ – „Das macht nachher der Orothodoc!“ Herr Samstagsabenddoc schlurft wieder in den Schockraum. „Huch, hier ist ja schon alles schick vorbereitet.“
In diesem Moment Gelärme auf dem Flur vorm Schockraum. Rettungssanitäter, ein Notarzt, eine fahrbare Pritsche samt Belegung die blutüberströmt und lauthals lamentiert: „Hörnsema, sehensezu, ich will innen Urlaub!“. Die Fuhre wird ins Nachbarzimmer verfrachtet. Tür zu, Gelärme nur noch gedämpft. Schwester Rabiata hebt die Augenbraue, der Doc murmelt sowas wie „Was ist dem denn zu eng?“. Rabiata erklärt darauf stichpunktartig, dass Herr Urlauber wohl mit seinem Kraftfahrwagen auf einer Allee eine Baumprobe gemacht hat, sein Weib unverletzt blieb und er sich dabei offenbar einige oberflächliche Schnittwunden zugezogen hat, die der Notarzt schon versorgt hat. Der Doc stöhnt.
Doc: „Ok, ich geh mal eine Rauchen und hol mir ´n Kaffee.“ – Blick zu Disaster und sein aus der Hosentasche guckendes Zigarettenpäckchen – „Wollnse mitkommen?“
Disaster [erstaunt]: „Klar, rauchen fetzt.“
Der Doc schnappt sich einen Kaffee aus dem Stationszimmer, wir gehen aus irgendeiner Hintertür vor das Krankenhaus. „Also, ich hab Dr. Oberorthopäde angerufen, der will den Bruch unbedingt sehen und kommt jetzt hierher. Mit absoluter Wahrscheinlichkeit muss operiert werden und sie sollten so ein, zwei Wochen bei uns bleiben. Dann folgt in sechs Monaten eine weitere OP und vermutlich in ein, zwei Jahren noch eine. Da hammse sich aber richtig in die Scheisse geritten.“ Seine Stimme klingt ernst und angespannt, mir ist schlecht. Wir rauchen schweigend auf und gehen wieder rein. Ich will ins Wartezimmer abbiegen „Ach, kommse mal mit rein, der Wartebereich ist ja auch eine Zumutung…“ Disaster in seinen Schockraum, Doc samt Schwester Rabiata in den anderen.
Gelärme. Das wurde ja mal Zeit, was ist das hier für ein Laden, blablabla… Minutenlang. Doc verlässt die Bühne nebenan und rauscht ab. Kurze Zeit später Schwester Rabiata lauthals: „Reissense sich mal zusammen mit ihren paar Kratzern, nebenan is ´ne gebrochene Schulter, hörnse von da was?“. Die Rettungsassis stehen grinsend vorm Schockraum, Schwester Rabiata rauscht ab, knallt die Tür nebenan zu und Ruhe ist.
Kurze Zeit später kam Dr. Oberorthpäde samt Samstagabenddoc zu mir. Gartenoutfit, Gartenschuhe, sichtbar in der Freizeit gestört. „Nahmt, ich hab mir eben mal mit dem Kollegen ihre Scapulafraktur beguckt, reife Leistung junger Mann.“ Und fängt an, sich die Hände zu waschen. „Ich würds mir gern mal näher ansehen, tut aber weh“. Ich rolle mit den Augen, Samstagabenddoc grinst. Neben ihm steht auf einmal die Röntgenschwester, Schwester Rabiata füllt meine Formulare aus.
Ausziehen, hinsetzen. Schmerzen. Ziehen, drehen, reißen, ich ab das Gefühl, dass der Arm ab ist und neben mir liegt.
Dr. Oberorthopäde: „Hm, das sieht nicht gut aus. Ich würde jetzt mal versuchen, den Bruch zu richten…“
Sprachs und fing an. Reflexartig Tränen. Einige Sekunden Höllle.
Dr. Oberorthopäde: „Guckense ma da in die Glastür vom Schrank. Sehen Sie den Höcker auf der Schulter? Das ist das abgebrochene Stück.“
Disaster [dem übel wird]: „Boah, und das soll jetzt so bleiben?“
Dr. Oberorthopäde: „Nee, sieht doch scheisse aus. Ich schieb das jetzt dahin, wo es hingehört.“
Sprachs und fing an. Reflexartig Tränen. Gezeter von Disaster. Viele Sekunden Hölle. Schweiss auf der Stirn des Docs. Samstagabenddoc und die Röntgenschwester starren gebannt, ab und an zieht die Röntgenschwester die Nase kraus und macht einen schmalen Mund. Niemand hält Händchen. Ich hab die Schnauze leicht bis extrem voll.
Dr. Oberorthopäde: „So Herr Disaster. ´n kleiner Glückspilz sindse ja, wa? Komplette Fraktur und so ein Ergebnis. Ihr Schulterblatt sieht jetzt so aus, wie es aussehen muss. Sie haben sich zig kleine Gefäße abgerissen, Muskeln angerissen, die Rippen geprellt. Ab morgen werden sie vermutlich ´ne ganze Weile grün und blau durch die Gegend laufen. Ich werde da nüscht operieren. Wir stabilisieren das jetzt und dann war´s das.“
Der Samstagabenddoc, Schwester Rabiata, die Röntgenschwester und meinereiner starren ihn fassungslos an. Rabiata fängt enttäuscht an, ihre Flexüle und das Hemdchen wegzuräumen.
Dr. Oberorthopäde: „Herr Dr. Samstagabenddoc, schickense mir ma die CT-Datei vonner Fraktur uffn Computer, das Ding druck ich mir aus uns häng´s anne Wand, gibt´s ja gar nicht. Herr Disaster, sie schonen sich ma ´ne Woche und in einem Vierteljahr ist wieder alles schick. Schönen Abend die Herrschaften, ich bin raus!“
Nach dieser für alle Beteiligten erstaunlichen Verkündung rauschte er mit seinem Gartenoutfit ab.
Der Rest ist schnell erzählt. Schwester Rabiata baut extrem einfühlsam eine Orthese an den Herrn Disaster, der selbige nur zum Duschen abnehmen darf. Der Samstagabenddoc schreibt den Arztbrief, die Röntgenschwester steht mit einem mitleidigem Blick rum und Herr Disaster versucht einhändig per Whatsapp seine Abholung aus dem Provinzkrankenhaus zu organisieren.
Die Abholung klappte, kurz vor Mitternacht saß Herr Disaster auf der Couch vor seinem Kamin. Die ersten Tage und vor allem die Nächte waren die Hölle. Man stellt fest, dass man zum Leben beide Arme braucht. Die Prognose vom Samstagabendoc, dass ich ziemlich genau eine Woche Schmerzen und Muskelkrämpfe haben werde, bewahrheitete sich. Nach fünf Tagen verstaute ich die Orthese im Schrank. Nach drei Tagen mähte ich einhändig den Rasen. Weder die Schulter noch der Oberkörper wurde grün oder blau. Und nach vier Wochen verspüre ich nur ab und an noch leichte Schmerzen.
Achso, und bevor mich das absolut nette und kompetente Team der Notaufnahme im Provinzkrankenhaus nach Hause gejagt hat, stellte der Samstagabenddoc die Frage: „Nu sagense mal nochmal, wie das passiert ist!“ Disaster: „Hab ich doch schon huntertmal, da waren Zeugen dabei, eine holt mich gleich ab. Aufm Kinderspielplatz mit meinem Kind auf einem zwanzig Zentimeter hohen Schwebebalken rumbalanciert und dabei ´n Sittich gemacht und über die Schulter abgerollt.“ Alles lacht, Schwester Rabiata drückt mich und steckt mir eine Packung Ibu zu.