Werbeagenturen sind nach landläufiger Meinung Horte von faulen Menschen, die alle paar Tage oder Wochen mal einen Geistesblitz haben und damit den Halbjahresumsatz ihrer Agentur generieren (Spezies 1) oder von alternden Berufsaussteigern, die ihre (meist nicht vorhandene) Kreativität mit Windows Paint oder gar Powerpoint ausleben (Spezies 2). Zweitere Spezies arbeitet meist zu Stundensätzen, die deutlich unter 10 Euro die Stunde liegen und fördern damit die Saga von Spezies eins, zumindest bei Kunden, die Leistungen von echten Werbeagenturen in Anspruch nehmen und auch deren Rechnungen kennen.
Betrachten wir einmal zwei Beispiele, in denen Kunden von Spezies 2 auf echte Agenturen treffen:
Da ist der Fahrschulbetreiber, der sein 25 Jahre altes Comic-Sans-Logo (natürlich fachgerecht mit Windows-Clipart hinterlegt) nun doch nicht mehr ganz so lustig findet und das Gespräch zu einer Agentur sucht, die offenbar etwas ihm optisch Angenehmes veröffentlicht hat. Beim ersten Treffen offenbart der Fahrschulbetreiber seine Wünsche und seinen dafür vorhandenen Etat. Der würde nicht mal für eine aktuelle Windows-Lizenz reichen:
„Ich hätte gern ein neues Logo und eine Beschriftung meiner Fahrzeugflotte. Ich denke, mit 400 Euro müssten Sie auskommen…“
So ist es mit dem Denken. Für 400 Euro bekommt Herr Drive-Instructor gerade mal die Folie für die Beschriftung seiner „Flotte“ und vielleicht eine Hilfskraft, die die alte Werbung von den Fahrzeugen abfummelt.
Höflich ausgedrückt (und schon in weiser Voraussicht den Sozialtarif für notleidende Unternehmer in Ansatz gebracht): „Herr XXX, unser Angebot für Ihre Wünsche würde sich grob geschätzt bei ca. 1.600 Euro bewegen – vorausgesetzt, Sie entfernen die alte Beschriftung von Ihren Fahrzeugen selbst.“
Es folgte eine Komplettausrastung mit dem Hinweis, dass er soviel nicht mal in einem Monat verdient und unsere Stundensätze offenbar nicht nur Wucher sondern ein Fall für den Bundesgerichtshof wären. Meine Frage, warum er dann mit Fahrstunden für 40 Euro wirbt, haut der mir ernst gemeint um die Ohren: „ICH habe ja auch Kosten für Miete, Fahrzeuge, Mitarbeiter!“ Genau, die habe ich nicht. Agenturen benötigen ja keine Arbeitsmittel wie Computer, Grafiktabletts, Softwarelizenzen, Folien, Plotter… Geschweige denn von Fahrzeugen (Wir gehen prinzipiell zu Fuß zum Kunden!), Mitarbeiter (Grafiker reißen sich förmlich darum, Folien auf Fahrzeugen anzubringen!) und Miete fällt bei uns auch nicht an – Paint läuft ja auf Muttis Laptop im heimischen Wohnzimmer. Und damit wären wir schon fast beim nächsten Fall.
Nett ist auch die regelmäßige Annahme von Kunden, mit einem Auftrag kauft man die Werbeagentur oder zumindest das Recht, deren Leistungen ein Leben lang kostenfrei zu nutzen:
Für einen (netten) Kunden die übliche Gründungsfummelei durchgeführt – elendig lange Gespräche, bei denen bereits zu Beginn feststand, was der Kunde möchte und auch bezahlen kann, die halbe Verwandschaft aber immer wieder Mitspracherecht einforderte. Lange Rede, kurzer Sinn: Nach einen Vierteljahr Arbeit hatte der Kunde einen durchaus ansehnlichen Auftritt, schicke Geschäftsausstattung, schicke Leuchtwerbung und extrem gutaussehende Fahrzeuge. So meine Meinung, die des Kunden und erstaunlicherweise auch die seiner Verwandtschaft. Seine Bude brummt, er verdient gutes Geld.
Irgendwann ein halbes Jahr später erhalte ich eine Mail von einem seiner Lieferanten. Wir mögen doch bitte mal ein Layout für Arbeitskleidung entwerfen und selbiges druckfähig zusenden. Standardvorgehensweise: Wir senden ein Angebot an den Kunden. Standardantwort: „Wieso wollen Sie dafür Geld? Ich habe Sie bereits bezahlt!“ Standardantwort: „Warum wollen Sie von ihren Kunden mehr als einmal Geld, wenn Sie Ihre Leistung mehrfach erbringen?“Es folgt in der Regel eine übellaunige Auftragsbestätigung…
Gleicher Kunde, Wochen später: „Schicken Sie mein Logo mal zu [Name einer Hausfrauenwerbagentur die mit Paint arbeitet]!“. Normalerweise (sofern kein Betreuungsvertrag vorliegt) teilen wir dem Kunden dann mit, dass er alle Daten von uns erhalten hat und die natürlich auch gern selbst weiterschicken kann. Da ich aber geahnt habe, dass er das bereits getan hat und ich Madame Werbegott schon immer mal kennenlernen wollte, habe ich kackfrech das Logo als EPS-Datei an Frau Werbehausfrau geschickt.
Keine Stunde später eine erboste Mail von ihr: „…fordere ich Sie hiermit auf, mir das Logo der Firma XYZ innerhalb von 24 Stunden als BMP-Datei zur Verfügung zu stellen!!!“ Mit drei Ausrufezeichen. Aber hübsch bunt formatiert.
Kurze Erläuterung: EPS-Dateien enthalten (fast) druckfertige Daten, die jede – JEDE – vernünftige Agentur ohne Aufwand weiterverwursten kann. BMP-Dateien hingegen kann man sich in der Regel feucht in die Haare massieren und kann damit (ausser die Dinger ansatzweise vernünftig auf Monitoren darzustellen) nicht viel anfangen.
Meine Antwort: „…teile ich Ihnen mit, dass wir leider keine BMP-Version des Logos vorliegen haben und auch kein weiteres Interesse, mit Ihnen ausserhalb eines ansatzweise fachgerechten Relevanzkorridors zu kommunizieren.“ Ihre Rache: Sie rief an. Ich habe zwei Minuten dollen Spaß gehabt. Auf meine Fragen, warum ich für sie arbeiten solle (sprich irgendwas an sie verschicken bzw. Daten in ihr Hobbyformat zu konvertieren) meinte sie ernsthaft, dass der Kunde mich dafür schließlich teuer bezahlt hat. Ich hab ihr dann viel Erfolg gewünscht und einfach aufgelegt.
Der Kunder erhielt von mir nochmal eine Erläuterung, warum Madame keine BMP-Dateien von uns erhält und warum wir nicht seine Bibliothek sind. Diese Erläuterung hat er erstaunlicherweise sogar verstanden, seine Antwort verblüffte mich allerdings sehr: „Frau Werbehausfrau sollte für mich Kugelschreiber bedrucken, die hatte so ein tolles Angebot für unter 3 Euro pro Kugelschreiber bei der Abnahme von 500 Stück.“ Er schickte mir dann ein Foto vom Kugelschreiber. Der liegt beim Standardversender in der Kugelschreiberhökerbranche bei knapp 1,25 Euro. Mies wie ich bin, hab ich ihm das gesteckt und damit eine leichte Gnatzigkeit bei ihm verursacht…
Wie auch immer: Dieser Kunde hat zumindest heute verstanden, worauf sein geschäftlicher Erfolg unter anderem zurückzuführen ist. Auf eine angemessene Bezahlung seiner Agentur. Und das auch wiederholt, wenn man wiederholt Leistungen in Anspruch nimmt.
PS: Kugelschreiber hat er entgegen unserer Empfehlung zwischenzeitlich auch (natürlich von uns) – die verrotten bei ihm im Schreibtisch, wie wohl bei 80 Prozent aller „Kugelschreiberkunden“…